Kladde
 
Donnerstag, 17. April 2003

Nach der Lektüre von The Hours weiß ich jetzt, was mit dem Film schiefging. Kleine Begebenheiten, deren Signifikanz in den Gedanken und Gefühlen der beteiligten Personen liegen, wurden in wilden Aktionismus umgewandelt. Leider funktioniert das nicht und man sieht Personen auf der Leinwand, nicht selten aufgebracht, die herumfuchteln und einander ankläffen. Da aber die Beweggründe nicht vermittelt werden, versteht man nicht, was sie überhaupt wollen. Und so fuchteln und rucken sie denn weiterhin in schöner Ausstattung daher und lassen den Zuschauer befremdet zurück.

Wichtiger war den Filmmachern offensichtlich die Dramatik, nicht das womöglich Publikum einschläft oder , schlimmer noch, nachdenklich wird. So packt Mrs. Brown hektisch sämtliche Schlaftabletten zusammen, stürzt aus dem Haus, gibt ihren kleinen Jungen bei Nachbarn ab, der gar nicht von ihr lassen will, als ob er ahnte, dass er sie nie wiedersehen würde und fährt in ein Hotel und ringt mit Selbstmord.
Im Buch hingegen will Mrs. Brown nur ihrem Alltag entfliehen und geht in das Hotel, um zu lesen (das sie eine begeisterte Leserin ist, wird im Film auch nicht deutlich) und erkennt während der Lektüre, dass es möglich ist zu sterben. Was sie zwar nicht will, aber als tröstlich empfindet.

Anderes Beispiel: Wie eine Bessessene rennt Mrs Woolf zum Bahnhof um nur ja nach London zu gelangen. Mr. Woolf hinterdrein, gerade noch rechtzeitig um sie auf dem Bahnsteig zu stellen. Eine erregte Auseinandersetzung folgt, in der sich in Mrs. Kidmans alles bewegt, bis auf die Nase.
Im Buch geht Mrs. Woolf spazieren, landet auf dem Bahnhof, will kurz nach London, kauft sich auch eine Fahrkarte, sieht dann aber davon ab, da sie zu spät wiederkehren würde und sie Mr. Woolf keine Sorgen machen will. Den trifft sie auf dem Rückweg nach Hause, besorgt und aufgeregt in Hausschuhen. Sie schaffen es ohne Schreierei einig zu werden.

Ich glaube, hätte ich das Buch vor dem Film gelesen, wäre ich vorzeitig gegangen oder hätte mich furchtbar aufgeregt. So sah ich etwas verständnislos drein und kämpfte mit Gähnkrämpfen.

So, und nun ist es natürlich unausweichlich Mrs. Dalloway zu lesen.

 
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